Kontoversen über Vollgeldreform, Geldschöpfung und Wachstumszwang

Gibt es im herrschenden Geldsystem einen Wachstumszwang, ist die Geldschöpfung der Geschäftsbanken wirklich die Ursache und könnte eine Vollgeldreform die Probleme der Geldordnung wirklich beseitigen? Das alles sind wichtige Fragen über welche die Geldsystem-Kenner und Geldordnungskritiker debattieren. Mit diesem Beitrag will Bernhard-Albrecht Roth, der Betreiber dieser Website, zwei der Kontroversen aufgreifen und analysieren, die in der öffentlich geführten Konversation zwischen Raimund Brichta und Dr. Timm Gudehus aufgetreten sind.

Bernhard-Albrecht Roth: Vollgeldreform, Geldschöpfung und Wachstumszwang

16.05.2017: Raimund Brichta, der frühere Leiter der NTV-Wirtschaftsredaktion, hat zusammen mit Anton Voglmaier das Buch „Die Wahrheit über Geld“ geschrieben, und klärt damit ausführlich über Geld auf. Dem gegenüber ist Dr. Timm Gudehus ein sehr aktives Mitglied des Vereins Monetative, die eine Reform der Geldordnung fordert, welche den Geschäftsbanken das Geldschöpfungsprivileg entziehen, Giralgeld durch Vollgeld (Zentralbankgeld) ersetzen und Bankguthaben sicher machen soll.

Kern der Konversation zwischen Raimund Brichta und Dr. Timm Gudehus sind mehrere Kontroversen von denen nachfolgend zwei näher beleuchtet werden sollen.

  1. Könnte eine Vollgeldreform die Mißstände in der herrschenden Geldordnung beseitigen
  2. Gibt es einen Wachstumszwang der vom Geldsystem ausgeht

Während Raimund Brichta die Existenz eines Wachstumszwangs eindeutig bejaht, ist er aber nicht davon überzeugt, dass die mit Geldschöpfung der Geschäftsbanken verbundenen Probleme durch die von der Monetative und Timm Gudehus propagierte Vollgeldreform gelöst werden können. Timm Gudehus kann seinerseits keinen Wachstumszwang erkennen, der durch das Geldsystem ausgelöst wird, sieht aber in der Geldschöpfung der privaten Banken das Hauptproblem. Der nachfolgende Beitrag soll hierzu einige Antworten liefern.

Bernhard-Albrecht Roth: Vollgeldreform, Banken-Geldschöpfung und Wachstumszwang

Die Analyse, die Raimund Brichta und Anton Voglmaier in ihrem Buch „Die Wahrheit über Geld“ dargelegt haben, deckt sich weitgehend mit den auf dieser Website seit 2010 veröffentlichten Beiträgen und Inflationsschutzbrief-Ausgaben. Jedoch überzeugt mich die wichtige Schlussfolgerung von Raimund Brichta nicht, wonach der Entzug des Geldschöpfungsprivilegs automatisch dazu führen würde, dass andere „Forderungen auf Zahlungsmittel“ das Giralgeld der privaten Banken voll kompensieren können, weshalb eine Vollgeldreform nach seiner Einschätzung scheitern muss.

Raimund Brichta hat in seiner Analyse dazu folgende Gleichung aufgestellt:

Geldvermögen = Bestand an Zahlungsmitteln + Forderungen auf Zahlungsmittel

Raimund Brichta rechnet hierbei das von den Banken durch Kredit geschöpfte Giralgeld dem „Bestand an Zahlungsmitteln“ zu, obwohl es in der Realität „Forderungen auf Zahlungsmittel“ sind und nur deshalb wie Zahlungsmittel verwendet werden, weil die Menschen den Unterschied nicht kennen.

Werde der „Bestand an Zahlungsmitteln“ durch den Entzug des Geldschöpfungsprivilegs begrenzt, erhöhe sich zwangsläufig der Bestand an anderen „Forderungen auf Zahlungsmittel“,so die These von Raimund Brichta.

Das würde aber nur zutreffen, wenn „Forderungen auf Zahlungsmittel“ als Geldsurrogat eine vergleichbare Quantität erreichen und damit ähnliche Folgen wie die massive Ausweitung der Giralgeldmenge durch Kreditvergabe verursachen könnten.

Vollgeldreform: „Forderungen auf Zahlungsmittel“ kein Giralgeld-Äquivalent

Genau das wäre aber nicht der Fall, weil alle Formen von „Forderungen auf Zahlungsmittel“ genauso fungibel sein müssten wie Giralgeld, und das können sie nicht, wenn den privaten Banken das Privileg selbst Geld zu schöpfen entzogen ist und allein bei der Zentralbank liegt. Raimund Brichta übersieht hierbei, dass sich die „Forderungen auf Zahlungsmittel“ nur deshalb als Geldsurrogat (Geldersatz) etablieren konnten, weil das Monopol der Geldschöpfung geteilt ist, mit der Vollgeldreform jedoch beseitigt werden soll.

Alle heute üblichen und weit verbreiteten Formen von „Forderungen auf Zahlungsmittel“ sind sehr eng mit der Bankenbranche und der Möglichkeit Giralgeld zu schöpfen verbunden. Man denke nur an Factoring-Unternehmen, hinter denen fast ausnahmslos Banken stehen, oder auch sämtliche Formen der Verbriefung von unveräußerlichen Forderungen in fungible Wertpapiere, die ohne Banken, die den emittierenden Zweckgesellschaften (SPV) Kredite gewähren, nicht funktionieren würde.

Ein gutes Beispiel dafür sind auch Wechselgeschäfte, also der Weitergabe von privaten Schuldscheinen unter Einhaltung gesetzlicher Formvorschriften. Wechselgeschäfte haben niemals Größenordnungen erreicht, die mit der Giralgeldmenge auch nur ansatzweise vergleichbar waren, und das obwohl diese Form des Geldersatzes schon lange existiert. Der Grund dafür ist die fehlende Fugibilität. Denn nur bonitätsstarke Kunden konnten bei ihren Banken diese Wechsel (Schuldscheine) vor der Fälligkeit zum Diskont einreichen, also den Geldbetrag, auf den der Schuldschein lautete, sich umgehend auszahlen oder dem eigenen Bankkonto gutschreiben lassen. Alle anderen Wechselgläubiger mussten bis zum Fälligkeitstag warten, was ihre Liquidität und damit auch ihr Investitions- und Konsumverhalten bremste. Das gleiche Problem würde sich auch für die „Forderungen auf Zahlungsmittel“ nach einer Vollgeldreform stellen.

Die Akzeptanz als Geldsurrogat oder auch als Anlagegut hängt also eng mit der Fungibilität zusammen, und die wäre ohne private Banken, die solche Forderungen schnell durch die Giralgeldschöpfung in Geld verwandeln können, nicht gegeben.

Das sehen wir übrigens gerade heute auch an der geringen Akzeptanz von physischem Gold und Silber als Zahlungsmittel im Zeitalter des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Gleiches gilt auch für physische Edelmetalle als Anlagegut. Im Umkehrschluss erklärt das auch, warum sich im Mittelalter die Lagerscheine der Goldschmiede, die das Gold und Silber für ihre Kunden verwahrten, als Zahlungsmittel hingegen durchgesetzt haben. Denn es war unpraktisch immer die Edelmetalle mit sich herumschleppen zu müssen. Entscheidend war, dass jeder gegen Vorlage eines Lagerscheins sich das physische Gold oder Silber sofort aushändigen lassen konnte. Die Lagerscheine also fungibel und deshalb als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel (wegen der direkten physischen Unterlegung mit Edelmetallen) geeignet waren.

Aus genau diesem Grund hat sich schließlich das fungibelste Geldsurrogat etabliert, das es je gab, das Giralgeld. Denn was könnte noch fugibler und gleichzeitig vermeintlich sicherer sein, als ein Zahlungsmittel, das die Bürger jederzeit bei allen Banken in Bargeld tauschen können und das auf den Girokonten und Kontoauszügen auch noch in gesetzlichem Zahlungsmittel ausgewiesen wird, obwohl dieses Zahlungsmittel in Wahrheit nur ein privates Auszahlungsversprechen (Schuldschein) auf gesetzliche Zahlungsmittel ist, was die überwiegende Mehrheit der Bankkunden jedoch noch immer nicht weiß.

Würde Vollgeld die Finanzwirtschaft ausbremsen?

Der wichtigste Aspekt ist aber, dass die gesamte Finanzwirtschaft von der Giralgeldschöpfung und der damit verbundenen Fungibilität aller Finanzprodukte abhängig ist. Denn wie sollten Finanzprodukte über Börsen oder OTC (außerbörslich) handelbar sein, wenn sie nicht jederzeit in Giralgeld getauscht werden könnten.

In einem Vollgeldsystem, in welchem die Banken kein Geldschöpfungsprivileg haben, würde es nach meiner Einschätzung automatisch unterbunden, dass sich die Finanzwirtschaft weiter aufblasen, wertschöpfungslose Gewinne privatisieren und im Gegenzug reale Verluste der Allgemeinheit aufbürden kann, weil das Monopol der Geldschöpfung nicht mehr geteilt wäre, sondern nur noch bei der Zentralbank liegt. Hierbei ist es wichtig zwischen Ursache und Wirkung zu unterschieden.

Die Ursache ist die Teilung des Geldschöpfungsmonopols zwischen Zentralbanken und privaten Geschäftsbanken, während die negative Wirkung dieser Teilung allein auf die (Aus-)Nutzung des Geldschöpfungsprivilegs insbesondere für wertschöpfungslose Geschäftsmodelle in der Finanzwirtschaft zurückzuführen ist. Bekämpft man die Ursache, indem man die Teilung des Monopols beseitigt, dann kann auch die parasitäre Ausnutzung des Geldschöpfungsmonopols weitgehend beseitigt werden!

Das ist jedoch sehr theoretisch, denn weder die Europäische Zentralbank (EZB) noch die privaten Banken – die eng miteinander verbunden sind – werden die Einführung von Vollgeld zulassen. Das zeigt sich bereits an der Reaktion der Deutschen Bundesbank, aber auch daran, wie die EZB ihr Mandat anwendet (siehe Video zur Anhörung des Journalisten Harald Schumann vor einem Ausschuss des Europaparlaments).

EU-Parlament - Anhörung von Harald Schumann zur EZB

Zwei Ausnahmen gibt es allerdings, bei denen die These von Raimund Brichta zutrifft:

1. Die Besitzer von Vermögen, die nicht darauf angewiesen sind „Forderungen auf Zahlungsmittel“ in Zahlungsmittel zu tauschen, könnten ihr Vermögen als Sicherheit einsetzen, um Kredite in Vollgeld aufzunehmen und dieses Vollgeld mit höheren Zinsen dann an Dritte gegen Schuldscheine weiter zu verleihen. Aber wie ich bereits weiter oben an dem Beispiel „Wechsel“ erläutert habe, ist das Volumen solcher Ausweichlösungen begrenzt. Viel problematischer wäre folgendes:

2. Die Finanzwirtschaft ist infolge der Ausnutzung des Geldschöpfungsprivilegs und der Deregulierung der Finanzbranche schon zu mächtig geworden und könnte deshalb in der Lage sein, den mit einer Vollgeldreform verbundenen Entzug des Geldschöpfungsprivilegs durch digitale privatrechtliche Zahlungsmittel zu kompensieren, die wie Währungen in Konkurrenz zu gesetzlichen Zahlungsmitteln in Umlauf gebracht werden.

Die Gleichung von Raimund Brichta

Geldvermögen = Bestand an Zahlungsmitteln + Forderungen auf Zahlungsmittel

würde sich dadurch verändern in

Geldvermögen = Bestand gesetzlicher Zahlungsmittel + Bestand privatrechtlicher Zahlungsmittel

Monetative und Wachstumszwang

Bei der Konversation zwischen Raimund Brichta und Dr. Timm Gudehus war auch der Wanchstumszwang eine der Kontroversen. Hierbei irritiert es mich, dass Dr. Timm Gudehus, der mit der Monetative für eine Vollgeldreform eintritt, den durch die Finanzwirtschaft auf die Realwirtschaft ausgeübten Wachstumszwang jedoch nicht zu erkennen vermag. Denn gerade die Monetative kritisiert die überschießende Giralgeldschöpfung in einer Aufschwungphase, sowie eine zu geringe Geldschöpfung der Banken während eines Abschwungs, die ganz erheblich zu der Abkoppelung der Geldmenge vom Wirtschaftswachstum beigetragen hat.

Aber auch Prof. Joseph Huber vertritt keine eindeutige Position zum Wachstumszwang. Während er auf vollgeld.de schrieb: „Es liegt in der Natur einer Vollgeldordnung, dass sie Verzinsung und Wachstumszwang von sich aus nicht induziert. (….) Der Zinseszinsmechanismus übt einen Wachstumsdruck aus, eine schuldenfreie Vollgeldbasis nicht“, stellte er Ende 2016 bei einem Vortrag den Wachstumszwang mit den Worten „so es ihn geben mag“ wieder in Frage.

Der Grund dafür, warum der Wachstumszwang bei den führenden Köpfen der Monetative nur am Rande thematisiert wird, ist meiner Ansicht nach eher taktischer als analytischer Natur. Denn wer einräumt, dass es einen Wachstumszwang gibt, der muss zwangsläufig auch Zins, Zinseszinseffekt und die Geldhortung kritisch hinterfragen. Wer das aber tut, macht sich damit angreifbar, weil er die Interessen von Vermögensbesitzern und Finanzbranche tangiert, die beide nicht wenig Einfluss auf Medien und Politik ausüben und bei denen will die Monetative schließlich Gehör finden.

Woher kommt der Wachstumszwang

Der Wachstumszwang in der Realwirtschaft wird meines Erachtens schon dadurch offensichtlich, dass die Geldmenge in den letzten 30 Jahren viel stärker gestiegen ist, als das Wirtschaftswachstum. Nachdem Geld nur durch Schulden entsteht und insofern verzinst werden muss, geht auch vom Geldsystem ein Wachstumszwang aus, der dazu führt, dass ein lineares Wirtschaftswachstum die Zinslasten eines durch Zins und Zinseszins exponentiellen Geldmengenwachstums immer weniger bedienen kann.

Das Geldschöpfungsprivileg der Banken und die Deregulierung der Finanzmärkte haben seit dem Ende von Bretton-Woods immer neue kreditfinanzierte Geschäftsmodelle in der Finanzwirtschaft ermöglicht, deren Grundlage die Spekulation, also ein Nullsummenspiel ist. Dadurch ist die Finanzwirtschaft enorm gewachsen, was aber dazu führt, dass den damit erzeugten Zinslasten und Gebühren keine Wertschöpfung gegenüber steht und deshalb zusätzlicher Druck auf die Realwirtschaft ausgeübt wird, wenn die dort dringend benötigten Kredite aufgrund höherer Renditen in kürzeren Zeiträumen stattdessen in die Finanzwirtschaft fließen. Die Finanzwirtschaft erzeugt auch regelmäßig kreditfinanzierte Blasen, die immer wieder platzen und bei vielen Marktteilnehmern Verluste verursachen, die ebenfalls Wachstumszwang auslösen, wenn sie durch Kredite kompensiert werden müssen.

Raimund Brichta begründet den Wachstumszwang anhand folgender Faktoren:

a) Zins und Zinsezins
Nur wenn jedweder Zinsertrag wieder vollständig in den Geldkreislauf zurückgeführt würde, ergäbe sich daraus keinerlei Zwang zum Wachstum und zur Aufschuldung. Da dies aber in der Realität nicht der Fall ist (ein Teil der Zinserträge bleibt immer irgendwo hängen und wird gehortet), verstärken Zins und Zinseszins den Wachstumsdruck. Darüber hinaus macht der Zins bei den Schuldnern zusätzliche Ausgaben für den Schuldendienst erforderlich, die diese nicht hätten, wenn es keinen Zins gäbe. Somit wird deren Geldbedarf größer, was den Wachstumsdruck ebenfalls verstärkt.

b) Geldvermögensbildung generell
Die Hauptursache für den Wachstumszwang liegt aber darin, dass es überhaupt das Streben nach Geldvermögensbildung gibt. Wenn Geld, egal aus welchen Zahlungen es zufließt (Zins, Miete, Lohn, Verkäufe etc.) gehortet und damit „stillgelegt“ wird, fehlt es letztendlich, um ausstehende Kredite zu bedienen und muss deshalb „aufgeschuldet“ werden. Den Kreislaufentzug beschränke ich dabei nicht nur auf die Realwirtschaft, sondern generell auf den gesamten Geldkreislauf. Schließlich werden Kredite auch zu rein spekulativen Zwecken aufgenommen, welche ebenfalls stets bedient werden müssen. Kurzum: Die Tatsache, dass Geld nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch als Wertaufbewahrungsmittel dient, führt zum Wachstums- und Aufschuldungszwang im System.

c) Forderungen auf Zahlungsmittel
Um den systemimmanenten Wachstumszwang vollends zu erfassen, müssen wir das Blickfeld aber weiten: Bisher haben wir als Ursache nur Zahlungsmittel betrachtet, die gehortet werden und damit dem Kreislauf entzogen werden. Wenn Sie aber meine Definition von Geldvermögen zugrunde legen, und zwar

Geldvermögen = Bestand an Zahlungsmitteln + Bestand an Forderungen auf Zahlungsmittel,

dann erkennen Sie, dass jedwede Erhöhung des Forderungsbestandes (Teil 2 der rechten Seite) automatisch und rein definitorisch auch eine Erhöhung des Schuldenbestandes zur Folge hat. Das heißt: Hier führt jede Geldvermögensbildung direkt zu einer Schuldenerhöhung und nicht nur indirekt über den Entzug von Zahlungsmitteln, die durch Aufschuldung wieder ins System gebracht werden müssen.

Dies ist umso wichtiger, als das Streben nach Geldvermögensbildung nicht nur durch Hortung von Zahlungsmitteln, sondern auch durch die Hortung bloßer „Forderungen auf Zahlungsmittel“ befriedigt werden kann. Wenn A an B eine Immobilie verkauft, A aber momentan gar keine Zahlungsmittel braucht und sich deshalb mit einer verzinsten Forderung an B „bezahlen“ lässt, sind Geldvermögen und Schulden neu entstanden, ohne dass ein Cent an Zahlungsmitteln involviert, geschweige denn geschöpft worden wäre.

Das Beispiel lässt sich sogar gänzlich von der Realwirtschaft entkoppeln, indem Sie die Immobilie durch – sagen wir – eine Währungsoption ersetzen, die zwischen zwei großen Finanzmarktteilnehmern außerbörslich vereinbart wird. So entstehen Geldvermögen und Schulden nicht nur ohne Zahlungsmittel, sondern auch ohne realwirtschaftliche Grundlage.

Die Menge der „Forderungen auf Zahlungsmittel“ (oben rechts) tendiert dazu, sich vom „Bestand an Zahlungsmitteln“ (oben links) zu entkoppeln. Ein Beispiel dafür ist die Anschreibepraxis der Geschäftsbanken untereinander. Diese hat dazu geführt, dass die Menge an Interbanken-Forderungen auf Zentralbankgeld (= das einzige Zahlungsmittel, das Geschäftsbanken untereinander akzeptieren) im Verhältnis zum tatsächlichen Bestand an Zentralbankgeld bis zur Finanzkrise auf einen Rekordwert gestiegen war.

Dieser Analyse stimme ich weitgehend zu, jedoch mit der Einschränkung, dass Raimund Brichta auch unter c. (wie schon weiter oben beschrieben) dem Irrtum unterliegt, die „Forderungen auf Zahlungsmittel“ könnten auch nach einer Vollgeldreform beliebig ausgeweitet werden, was jedoch nur zutreffen würde, wenn sie fungibel und damit jederzeit in Zahlungsmittel tauschbar wären.

Das bedeutet konkret: Würde durch eine Vollgeldreform den privaten Banken das Geldschöpfungsprivileg entzogen und damit der „Bestand an Zahlungsmitteln“ und ihre Verwendung unter Kontrolle gebracht, wäre auch die Höhe der „Forderungen auf Zahlungsmittel“ (und damit automatisch auch die unkontrollierte Erhöhung des Schuldenbestandes) begrenzt, weil „Forderungen auf Zahlungsmittel“ ohne die Geldschöpfung nicht ausreichend fungibel sind und damit auch nicht in größerem Umfang als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel akzeptiert werden.

Banken-Geldschöpfung: Vollgeld die Alternative?

Theoretisch könnten sich also durch eine Vollgeldreform Verbesserungen einstellen, wenn es für Spekulationsgeschäfte keine Kredite mehr gäbe. Selbst wenn das gelingen sollte, besteht aber die Gefahr, dass damit nur die privaten Banken entschuldet und die Verbindlichkeiten auf einen Schlag der Zentralbank und damit dem Steuerzahler aufgebürdet werden. Denn die großen Unternehmen der Finanzbranche könnten durch Blockchain-Technologie und Bargeld-Abschaffung anschließend trotzdem digitale privatrechtliche Zahlungsmittel (wie den Goldman-Coin oder Morgan-Coin) als eigene Währungen in Konkurrenz zu gesetzlichen Zahlungsmitteln in Umlauf bringen, die nach einer Etablierungsphase dann wieder als Basis für die Ausweitung von „Forderungen auf Zahlungsmittel“ missbraucht werden.

Die Geldschöpfung der privaten Banken ist für mich deshalb nach wie vor das Hauptproblem, auch wenn deren Ursache das geteilte Geldschöpfungsmonopol ist, dass wiederum auf den verständlichen Interessen nach Verzinsung und Vermögensmehrung beruht. Die Geldschöpfung der privaten Banken ist nur deshalb ein Problem und sollte abgeschafft werden, weil damit immer die mißbräuchliche Ausdehnung der Geldmenge verbunden ist, die zu einer aufgeblasenen Finanzwirtschaft, zur Aushöhlung des Rechts und damit zu Rechtsunsicherheit führt sowie letztendlich die Grundlage jeder staatlichen Ordnung gefährdet.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Beitrag keine Bewertung darstellt, ob und inwieweit Vollgeld eine Alternative zur herrschenden Geldordnung darstellen könnte, denn dafür gibt es derzeit noch zu viele offene Fragen. Es ist aber in jedem Fall lohnenswert, sich mit Vollgeld näher zu beschäftigen, denn die derzeit einzige Alternative, eine stärkere Regulierung der privaten Banken, so wie es die Bundesbank empfiehlt, kann aufgrund der Globalisierung viel zu leicht unterlaufen werden.

Ungeachtet der in diesem Beitrag angesprochenen kleinen Kritikpunkte, kann ich jedem, der sich für die Hintergründe unseres Geldsystems interessiert, nur empfehlen das Buch „Die Wahrheit über Geld“ von Raimund Brichta und Anton Voglmaier zu lesen!

Hinweis vom Bernhard-Albrecht Roth am 03.08.2017: Zum nachfolgenden Kommentar von Raimund Brichta habe ich in diesem Beitrag ausführlich Stellung bezogen!

Zusammenfassung:
Titel:
Vollgeldreform, Geldschöpfung und Wachstumszwang
Kurzbeschreibung:
Bernhard-Albrecht Roth: Kontroversen zwischen Raimund Brichta und Timm Gudehus (Monetative) über Vollgeldreform, Banken-Geldschöpfung und Wachstumszwang.
Autor:
veröffentlicht von:
Inflationsschutzbrief © 2017
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Raimund Brichta
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Raimund Brichta

Lieber Herr Roth, ich freue mich sehr, dass Sie die Diskussion fortsetzen, die von Herrn Gudehus und mir angestoßen wurde. Damit unterstützen Sie eines meiner Hauptanliegen, das darin besteht, das allgemeine Verständnis für unser Geldsystem zu vertiefen. Denn bevor eine kritische Masse an Menschen davon überzeugt werden kann, dass es sich lohnt, über alternative Geldsysteme nachzudenken, muss diese kritische Masse das System erst einmal verstehen. So weit ist es nach meiner Einschätzung leider noch lange nicht. Ich will deshalb nicht lange bei der Vorrede bleiben, sondern gleich in die Diskussion einsteigen. 1. Sie schreiben: „Raimund Brichta rechnet hierbei das von den Banken durch Kredit geschöpfte Giralgeld dem „Bestand an Zahlungsmitteln“ zu, obwohl es in der Realität „Forderungen auf Zahlungsmittel“ sind und nur deshalb wie Zahlungsmittel verwendet werden, weil die Menschen den Unterschied nicht kennen.“ Das ist nicht ganz korrekt, denn… Weiterlesen »

Ernst Dorfner
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Ernst Dorfner

Es sind monetäre Versatzstücke aus der Freiwirtschaft, der natürlichen Wirtschaftsordung von Gesell, wie der Zins, die Geldhortung, die Umverteilung des gesamten Geldes hin zu den Geldvermögensbesitzern, die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, die die Debatte beherrschen. Dass das Wachstum der Realwirtschaft – um die es ja geht – aber auch vom Gewinnstreben erzwungen wird, bleibt außen vor. Hans Christoph Binswanger beschreibt in seinem Beitrag „Geld und Wachstumszwang“ in „Geld & Wachstum“ die Zusammenhänge. Es geht nicht nur um den Zins, sondern auch den monetären Gewinn des Geldes, warum die Wirtschaft wachsen muss. Erst bei Einbeziehung beider Teile wird klar, dass der Erwerb von Geld als das bestimmnde Ziel unseres Wirtschaftens maßgeblich für den Zwang zum Wirtschaftswachstum verantwortlich ist. Karl Marx hat mit nur fünf Worten das Wesen des Kapitalismus beschreiben: „Kaufen, um teurer zu verkaufen!“ Wenn aber alle teurer verkaufen wollen als… Weiterlesen »