ETH-Studie deckt Netzwerk der Finanzkonzerne auf

Eine Studie von Wissenschaftlern der ETH-Zürich aus 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass ein Netzwerk aus 147 Unternehmen mittlerweile die Kontrolle über 40 Prozent der 43.060 multinationalen Unternehmen und mehr als 60 Prozent der globalen Umsätze ausübt. 1.318 von ihnen sollen dabei den Kern der Weltwirtschaft bilden. Ist so eine Konzentration denkbar und hätte das noch etwas mit der angeblich vorherrschenden freien Marktwirtschaft zu tun?

ETH-Studie deckt Netzwerk der Finanzkonzerne auf

Neuen Zündstoff für die internationalen Protestbewegungen gegen die Macht der Banken, wie die Occupy-Bewegung, lieferte im Oktober 2011 das renommierte Wissenschaftsmagazin „New Scientist“. Unter dem eindeutigen Titel „Aufgedeckt: Das kapitalistische Netzwerk, das die Welt regiert“ berichteten Andy Coghlan und Debora MacKenzie über eine mehr als brisante Studie von drei Wissenschaftlern der ETH-Zürich (Eidgenössischen Technischen Hochschule).

ETH-Studie deckt Netzwerk der Finanzkonzerne auf

Die Studie „The network of global corporate control“ kommt zu dem Ergebnis, dass 737 Konzerne eine 80-prozentige und 147 mehrfach miteinander vernetzte Unternehmen eine rund 40-prozentige Beteiligung an den 43.060 transnationalen Konzernen (TNCs) besitzen, die ihrerseits rund 400.000 Beteiligungen halten. Den vielfach vernetzten inneren Kern der Weltwirtschaft würden dabei 1.318 Firmen bilden, die im Durchschnitt jeweils 20 Verbindungen untereinander haben und selbst einen Umsatzanteil von 20 Prozent beisteuern. Über direkte und indirekte Beteiligungen, darunter die größten und ertragsstärksten Konzerne der Welt, würden sie zusätzlich nochmals 60 Prozent der globalen Umsätze indirekt kontrollieren. Letztlich hätte aber nur weniger als ein Prozent der Unternehmen eine direkte Kontrolle über 40 Prozent des ganzen Netzwerks, so fasste das James Glattfelder vom ETH-Team zusammen.

Unter den Top 50 befanden sich laut Studie auch die größten Finanzkonzerne:

1.Barclays plc, 2. Capital Group Companies Inc, 3. FMR Corporation, 4. AXA, 5. State Street Corporation, 6. JP Morgan Chase & Co, 7. Legal & General Group plc, 8. Vanguard Group Inc,9. UBS AG, 10. Merrill Lynch & Co Inc, 11. Wellington Management Co LLP, 12. Deutsche Bank AG, 13. Franklin Resources Inc, 14. Credit Suisse Group, 15. Walton Enterprises LLC, 16. Bank of New York Mellon Corp, 17. Natixis, 18. Goldman Sachs Group Inc, 19. T Rowe Price Group Inc, 20. Legg Mason Inc, 21. Morgan Stanley, 22. Mitsubishi UFJ Financial Group Inc, 23. Northern Trust Corporation, 24. Société Générale, 25. Bank of America Corporation, 26. Lloyds TSB Group plc, 27. Invesco plc, 28. Allianz SE, 29. TIAA, 30. Old Mutual Public Limited Company, 31. Aviva plc, 32. Schroders plc, 33. Dodge & Cox, 34. Lehman Brothers Holdings Inc, 35. Sun Life Financial Inc, 36. Standard Life plc, 37. CNCE, 38. Nomura Holdings Inc, 39. The Depository Trust Company, 40. Massachusetts Mutual Life Insurance, 41. ING Groep NV, 42. Brandes Investment Partners LP, 43. Unicredito Italiano SPA, 44. Deposit Insurance Corporation of Japan, 45. Vereniging Aegon, 46. BNP Paribas, 47. Affiliated Managers Group Inc, 48. Resona Holdings Inc, 49. Capital Group International Inc. und 50. China Petrochemical Group Company.

Internationales Netzwerk der Finanzkonzerne nachgewiesen?

Als Spezialisten für komplexe Systeme scheint es den Forschern um  James Glattfelder erstmals gelungen zu sein, abseits jeglicher Ideologie mit mathematischen Methoden ein Netzwerk der ökonomischen Macht empirisch zu identifizieren. Frühere Studien hatten zwar schon Hinweise geliefert, dass wenige transnationale Unternehmen (TNCs) große Teile der Weltwirtschaft besitzen, aber sie deckten nur eine beschränkte Anzahl ab, klammerten indirekte Eigentümer aus und beschränkten sich auf einzelne Länder oder Märkte. Deshalb gab es bislang keine fundamentalen Hinweise darauf, ob sie die globale Wirtschaft beeinflussen und zu Stabilität beitragen oder diese gefährden.

Die ETH-Studie baute auf der Datenbank „Orbis 2007“ auf, in der 37 Millionen Unternehmen und Investoren weltweit gespeichert sind. Aus dieser Gesamtmenge filterten die Wissenschaftler zunächst 43.060 TNCs und deren Anteilseigner heraus und prüften alle Verbindungen untereinander. Dann konstruierten  James Glattfelder und sein Team ein Computer-Modell, um Firmen zu finden, die andere durch den Besitz ihrer Aktien kontrollieren, und verbanden diese mit den operativen Umsätzen jeder Gesellschaft, um die Struktur der wirtschaftlichen Macht auch kartographisch darstellen zu können. Über das Ergebnis war sogar der ETH-Wissenschaftler Stefano Battiston verblüfft, der die Konzentration der wirtschaftlichen Kontrolle, die sie insbesondere im Finanzsystem gefunden hätten, als wirklich enorm bezeichnete. Stefano Battiston gehört zu den führenden Forschern auf dem Gebiet der hochkomplexen Systeme und hat bereits Analysen von Wirtschaftsnetzwerken – unter anderem gemeinsam mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz – publiziert.

Finanzkrise hat das Netzwerk vergrößert

Seit 2007, dem Jahr, aus dem die zugrundeliegenden Daten der Analyse stammen, ist es im Zuge der Finanzkrise zu einigen Veränderungen gekommen, die in der Studie noch nicht berücksichtigt sind. Die Kontrolle des Machtzirkels hat sich seither jedoch verdichtet, so die ETH-Wissenschaftler, weil der Konzentrationsprozess im Bankenbereich durch die Krise noch beschleunigt wurde. So sei beispielsweise nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, deren eigenständige Nordamerika-Tochter mitsamt dem Investmentbanking, 9.000 hochspezialisierten Mitarbeitern und dem gesamten Kundenstock einem anderen Finanzkonzern, der Barclays Bank in London, billigst in die Hände gespielt worden.

Angeblich wurden Managern von Lehman hoch dotierte Posten bei Barclays versprochen. Der Kaufpreis soll mit 1,75 Milliarden US-Dollar nur unwesentlich höher als der auf 1,2 Milliarden US-Dollar taxierte Wert der Lehman-Zentrale in New York gewesen sein, die bei dem Transfer an Barclays fiel. Die so angereicherte gesamte Vermögensverwaltung habe der Finanzkonzern in 2009 an den gleichfalls zum Netzwerk gehörenden weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock Inc. mit Vermögenswerten in Höhe von drei Billionen Dollar übertragen. BlackRock sei auch an 26 der 30 Konzerne aus dem deutschen Aktienindex DAX direkt und über Beteiligungen an Banken zusätzlich indirekt beteiligt. Da der Deal zur Hälfte mit einem Aktientausch abgewickelt worden sein soll, halte Barclays 20 Prozent der Aktien von BlackRock und dieser Finanzkonzern umgekehrt einen zweistelligen Prozentanteil an Barclays.

Die größten Finanzkonzerne

Unabhängig von der ETH-Studie fällt eine spezielle Vernetzung auf: Die größten acht US-Banken (JP Morgan Chase, Bank of America, Citigroup, Goldman Sachs, US Bancorp, Bank of New York-Mellon und Morgan Stanley) werden überwiegend von nur zehn Aktionären kontrolliert, darunter vier Beteiligungskonzerne: BlackRock, State Street, Vanguard und Fidelity. Sie halten wesentliche Beteiligungen unter anderem an folgenden US-Konzernen: Apple, Alcoa, Altria Group, American International Group, AT&T, Boeing, Caterpillar, Coca-Cola, DuPont, Exxon Mobil, General Electric, General Motors, Hewlett-Packard, Home Depot, Honeywell Int., Intel, IBM, Johnson & Johnson, JP Morgan Chase, McDonald’s, Merck, Microsoft, 3M, Pfizer, Procter & Gamble, United Technologies, Verizon, Wal-Mart, Time Warner, Walt Disney, Viacom, News Corporation, CBS Corporation und NBC Universal.

Auch wenn verschiedene Schlussfolgerungen aus der Studie, wie etwa die Gleichsetzung einer Beteiligung mit einer entsprechenden Kontrolle, umstritten sind, so kann doch der generelle Befund nicht ignoriert werden. Die gewaltige Machtkonzentration in den Händen weniger Konzerne und die nicht minder große gegenseitige Abhängigkeit dieser Konzerne untereinander werfen auf jeden Fall eine Menge Fragen auf.

Risiko des Netzwerks

Aus marktliberaler Sicht ist jedenfalls klar, dass eine so enge Verknüpfung von Marktteilnehmern den Wettbewerb aushebeln muss, wenn sie profitorientiert handeln. Außerdem stehen die nationalen und internationalen Institutionen zur Marktregulierung vor der kaum lösbaren Herausforderung, Wege zu finden, wie Risiken in einem solchen Abhängigkeitsnetzwerk überhaupt isoliert und neutralisiert werden können. So dürfte beispielsweise die bereits diskutierte Abspaltung der Investment-Aktivitäten von Banken unter diesen Umständen zwar die unmittelbaren Auswirkungen auf ein Land begrenzen, das weltweite Finanzsystem würde von einem Bankrott aber kaum weniger stark erschüttert werden als bisher. Die großen Finanzkonzerne sind nämlich nicht nur „too big to fail“, sondern vor allem auch „too connected to fail“ für die Welt. John Driffill, ein Experte für Makroökonomie von der Universität London, wies daher nicht zu Unrecht darauf hin, dass der Wert der Analyse nicht nur in der Erkenntnis liege, dass eine kleine Anzahl von Leuten die globale Wirtschaft kontrolliert, sondern auch darin, dass sie Erkenntnisse über die Stabilität der Weltwirtschaft liefert.

Eine Konzentration der Macht ist isoliert betrachtet nicht zwingend schlecht, sagt das Wissenschaftler-Team aus Zürich, aber die engen Verknüpfungen des Netzwerks könnten es sein. Denn wie die Welt seit September 2008 erkennen musste, sind solche Netzwerke gerade in der Finanzbranche höchst instabil. Wenn ein Finanzkonzern untergehe, breite sich das Desaster aus, betont James Glattfelder von der ETH-Zürich.

Netzwerk aus Beteiligungen ermöglicht Einflussnahme

Der Wissenschaftler Yaneer Bar-Yam vom Neuengland-Institut für Komplexe Systeme (NECSI) in den USA, zweifelt daran, dass die Möglichkeit der Kontrolle überhaupt genutzt werde könne, weil Fonds-Manager die Beteiligungen lediglich verwalten würden. Damit negiert er wohlwollend die Realität, dass in Investmentgesellschaften für jede Beteiligung ständig penible Analysen über den wirtschaftlichen Fortgang auf Basis persönlicher Gespräche auf Vorstandsebene gemacht werden. Ist die Beteiligung entsprechend hoch, dann ist damit in aller Regel auch ein Sitz im Aufsichtsrat verbunden. Die tatsächlichen Auswirkungen auf das Verhalten des Systems bedürfen daher keiner genaueren Analysen, um feststellen zu können, dass bei einer entsprechenden Höhe einer Beteiligung jeglicher Einflussnahme jedenfalls Tür und Tor geöffnet sind.

Aus diesem Grund werden von der EU-Wettbewerbsbehörde in Brüssel immer wieder kartellähnliche und wettbewerbsverzerrende Preisabsprachen unter multinationalen Unternehmen aufgedeckt und bestraft. Aber die öffentlich gewordenen Fälle sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nur die Spitze eines Eisberges. James Glattfelder plädiert daher für eine international gültige Kartell-Regulierung, die es derzeit nur auf nationaler Ebene gibt, um die intensiven Querverbindungen zwischen den TNCs zu beschränken.

Eine ganze Gruppe von 147 Unternehmensführern (CEOs) ist allerdings zu groß, um geheime Verabredungen treffen zu können. Aber letztlich genügt es schon, wenn zum Beispiel vier CEOs von Finanzkonzernen an der Wall-Street als Aufsichtsräte der Federal Reserve Bank of New York geldpolitische Maßnahmen beschließen und andere Unternehmen im Netzwerk daraufhin entsprechende Vorkehrungen treffen, wie zum Beispiel die Platzierung von Käufen oder Verkäufen von Aktien an der Börse, ehe der Rest der Welt davon erfährt. Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass die Finanzkonzerne nichts dem Zufall überlassen und die Manager gezielt so handeln, dass die Unternehmen innerhalb des Netzwerks immer den größtmöglichen Nutzen auf Kosten anderer Marktteilnehmer außerhalb des Netzwerks erzielen.

Finanzkonzerne kontrollieren die Staatsanleihen

Wen diese Machtkonzentration nicht beunruhigt, der sollte sich vor Augen halten, wer die Staatsdefizite der europäischen Länder finanziert und was für Folgen es haben kann, wenn so wie bei der Auktion deutscher Staatsanleihen Mitte November 2011 die großen Abnehmer in Käuferstreik treten. Denn jedes verschuldete Land ist auf das Wohlwollen der Geldgeber angewiesen, die bereit sind, an Stelle der immer wieder auslaufenden Staatsanleihen neue zu kaufen, um den Staaten die Umschuldung zu ermöglichen. Die Macht des beherrschenden Netzwerks spielt zweifellos auch bei den Entscheidungen der deutschen Politik eine Rolle. So wurde letztmalig aus einer Pressemitteilung, der für die Kreditbeschaffung Deutschlands zuständigen staatlichen Finanzagentur, vom 16. Dezember 2008 ersichtlich, wer die zehn größten Anleihe-Gläubiger des Landes waren.

Es war dieselbe Gruppe von Finanzkonzernen, die auch in der „Internationalen Vereinigung für Swaps und Derivate“ vertreten ist: Barclays, Deutsche Bank, Merill Lynch, UBS, Morgan Stanley, Royal Bank of Scotland, Société Générale, JPMorgan Chase, Goldman Sachs und Citigroup. Den Emissions-Konsortien gehörten daneben immer wieder auch ABN Amro und BNP Paribas an. Auch der Goldpreis wird offensichtlich über das Netzwerk der Finanzkonzerne beeinflusst.

Darüber hinaus belegen auch wesentliche personelle Verbindungen den Einfluss des Netzwerks. In den USA werden beispielsweise immer wieder Generaldirektoren von Goldman Sachs, wie Henry „Hank“ Paulson oder Robert Rubin, direkt in das Amt des Finanzministers gehievt. Das Finanzministerium scheint zudem längst von Goldman-Leuten unterwandert zu sein. Auch in Europa wurden „Goldmänner“ in einflussreiche Positionen manövriert. Der Allianz-Finanzvorstand und Aufsichtsratspräsident der Deutschen Bank, der Österreicher Paul Achleitner, war zuvor Deutschland-Chef von Goldman Sachs. Der amtierende EZB-Präsident Mario Draghi soll als früherer Europa-Chef von Goldman die Verschleierung der Griechenland-Schulden mit trickreichen Finanzkonstruktionen organisiert, jedenfalls aber davon gewusst haben. Und der ehemalige italienische Premierminister Mario Monti fungierte direkt vor Amtsantritt noch als internationaler Berater von Goldman Sachs.

Die ETH-Studie geht leider nicht auf die Ursachen ein, wie sich dieses Netzwerk entwickeln konnte. Es steht jedoch außer Zweifel, dass diese Entwicklung eng mit dem seit 1971 herrschenden Geldsystem in Zusammenhang steht. Denn der Einfluss des Netzwerks ist genau in dem selben Maß gestiegen, wie die Geldmenge durch die Geldschöpfung der privaten Banken im gleichen Zeitraum angewachsen ist, um den Faktor 10. Im Jahr 1970 hielten institutionelle Investoren noch ca. 7 Prozent am US-Aktienmarkt, während es heute schon ganze 70 Prozent sind.

Kritik an der ETH-Studie übte beispielsweise das Soziologische Forschungsinstitut in Göttingen mit einem Working-Paper „Über Fallstricke einer Netzwerkanalye“. In 2016 bestätigten jedoch neue wissenschaftliche Studien die Ergebnisse der ETH-Studie aus 2011.

Zusammenfassung:
Titel:
ETH-Studie deckt Netzwerk der Finanzkonzerne auf
Kurzbeschreibung:
Eine Studie der ETH in Zürich deckte im Jahr 2011 das Netzwerk der Finanzkonzerne auf, das einen Großteil der Weltwirtschaft zu kontollieren scheint.
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