Indien: Bargeld, Bankenrettung und bargeldlose Gesellschaft

Ist Indien auf dem Weg in eine Gesellschaft ohne Bargeld? Die indische Regierung hat die wichtigsten Geldscheine des Landes überraschend für ungültig erklärt. Offiziell sollen dadurch Korruption und Schattenwirtschaft bekämpft werden. Wie so oft in der Politik hat auch die Regierung Modi dazu eine Nebensache zur Hauptsache erklärt, um die vorrangigen Gründe zu verschleiern: Es ging wieder einmal um eine Bankenrettung zur Vermeidung einer drohenden Bankenkrise, die in Indien aber offensichtlich auch zur Bargeld-Abschaffung genutzt wird, um die bargeldlose Gesellschaft einzuführen.

Indien: Korruption, Terrorismus, Bargeld, Bankenrettung und bargeldlose Gesellschaft

29.11.2016: Während Donald Trump die US-Wahl gewann, erklärte Indiens Premierminister Narendra Modi in einer überraschenden Fernsehansprache sämtliche 500- und 1000-Rupien-Scheine (umgerechnet 6,80 Euro und 13,60 Euro) für ungültig und führte zwei neue Geldscheine ein. Er wolle damit die steigende Korruption und Schwarzgeld bekämpfen, erklärte Modi. Die Sprecherin der Oppositionspartei Meenakshi Lekhi erklärte hingegen, dass der Bargeld-Austausch in Wahrheit der Versuch sei, es den korrupten Eliten in Indien zu erschweren, ihr Geld außer Landes zu schaffen. Insgesamt 86 Prozent aller umlaufenden Banknoten müssen bis zum Jahresende umgetauscht oder auf Bankkonten eingezahlt werden. Premierminister Modi appellierte indessen über das Fernsehen an das indische Volk durchzuhalten, nachdem der Bargeld-Engpass einige Zeit anhalten werde, da die Bankautomaten zur Ausgabe der neuen Scheine erst technisch umgerüstet werden müssten.

Indien: Bargeld-Umtausch gegen Korruption und Schwarzgeld

Während die indische Oberschicht mit Kreditkarten den finanziellen Alltag bewältigt, mussten einige Inder die Maßnahme unterdessen mit dem Leben bezahlen. In einem Vorort von Mumbai verstarb ein neugeborenes Kind, nachdem der Arzt die Behandlung verweigert hatte, weil die Familie nur die alten und ungültig gewordenen Geldscheine hätte. Eine 55-jährige Frau hatte sich bereits in der Nacht zum Dienstag erhängt, weil sie in der ersten Hysterie irrtümlich glaubte, ihre langjährigen Ersparnisse seien wertlos geworden. Im Bundesstaat Kerala sind zwei Männer in der Warteschlange vor einer Bank aufgrund von Wassermangel zusammengebrochen und gestorben.

Neues Bargeld ohne Sicherheitsmerkmale in Indien

Von der Regierung wurde zeitgleich neues Bargeld über 500 und 2000-Rupien eingeführt. Die neuen Geldscheine unterscheiden sich jedoch lediglich im Design von den ungültig erklärten Geldscheinen über 500- und 1000-Rupien, denn für neue Sicherheitsmerkmale sei einfach nicht mehr genug Zeit gewesen, räumte ein hoher Regierungsbeamter ein.

Der Bargeld-Umtausch in Indien findet jedoch sehr schleppend statt, weil viele Banken und selbst die umgerüsteten Geldautomaten nicht über ausreichende Bestände an neuen Geldscheinen verfügen. In zahlreichen Städten des Landes kam es infolge dessen zu Schlägereien, Demonstrationen und langen Schlangen vor Geldautomaten. Auch gibt es ganze Landstriche ohne Bankfilialen und nach einer Schätzung der Weltbank von 2014 verfügt nur rund die Hälfte aller Inder über ein eigenes Bankkonto. Aus diesen Gründen hat sich in den urbanen Zentren des Landes, allen voran in der Hauptstadt Delhi, ein reger Schwarzmarkt entwickelt, auf dem die alten Banknoten anonym mit einem Preisaufschlag von ca. 15 Prozent eingetauscht werden können.

Bürger in Indien misstrauen dem Staat

Die indische Regierung hat nun angeordnet, den Umtausch ganz zu stoppen, damit die Menschen ihre alten Scheine gleich auf bestehende oder neu eröffnete Bankkonten einzahlen. Damit reagiert Modi auf die Tatsache, dass rund 60 Prozent der alten Geldscheine noch nicht umgetauscht wurden und die Umtauschrate stetig sinkt. Das darf auch nicht überraschen, denn die Regierung hatte im gleichen Zeitraum erklärt, dass „verdächtig erscheinende Bankguthaben“ auf den Konten mit einer 45-prozentigen Steuer belasten werden. Wie nicht anders zu erwarten war, hat das natürlich viele Menschen dazu veranlasst, ihr Geld in Wertgegenstände wie Schmuck aber vor allem in Gold zu tauschen, um sich so vor der Strafsteuer des Staates zu schützen. Die kurze Zeit später erfolgte Aussage der Regierung, die Strafsteuer möglicherweise auf bis zu 60 Prozent zu erhöhen, wie die Zeitung „The Indian Express“ berichtete, hat die Tendenz in Alternativen wie Schmuck und Gold zu flüchten, natürlich verstärkt.

Interessant ist besonders der Hinweis des indischen Regierungsbeamten, der erklärte, dass keine Zeit geblieben sei, die neuen Scheine mit neuen Sicherheitsmerkmalen auszustatten. Denn das legt die Schlussfolgerung nahe, dass die neuen Scheine in Indien gar nicht lange in Umlauf bleiben sollen, denn sonst wäre durch den Ersatz der Geldscheine wenig gewonnen, zumal schon vor über zwei Jahren ein ähnlicher Plan bestand, wie jüngst bekannt wurde. In der Zwischenzeit hätte sich die indische Zentralbank mehrmals fälschungssicheres Bargeld von überall auf der Welt beschaffen können. Wie aufgrund der fehlenden neuen Sicherheitsmerkmale zu erwarten war ist erstes Falschgeld des neuen Bargeldes bereits in Umlauf und wurde auch schon konfisziert.

Korruption in Indien auch ohne Bargeld

Die radikalste geldpolitische Maßnahme, die Indien in 70 Jahren gesehen hat, wird aber nicht viel helfen, um die Korruption zu bekämpfen, was Premierminister Modis wichtigstes Wahlversprechen und das erklärte Ziel war, weshalb die zwei alten Geldscheine für ungültig erklärt wurden. Denn die Korruption zu bekämpfen wird schon deshalb scheitern, weil dazu ein Prozess aus Erziehung, Einsicht und Kontrolle über Generationen gelebte Verhaltensweisen überwinden muss, und das ist nicht in wenigen Jahren zu erreichen. Außerdem wird in Indien häufig mit Gold bezahlt, weshalb die Bekämpfung von Korruption fehlschlagen muss und Schwarzgeld aufzuspüren zunächst nur einen einmaligen Effekt hätte, aber ständiges Mißtrauen der Bevölkerung produzieren würde. Die Regierung Modi müsste also den Goldmarkt stärker reglementieren als bisher, wenn sie Korruption und Schwarzgeld erfolgreich bekämpfen will. Davon abgesehen befinden sich die gewaschenen Schwarz- und Korruptionsgelder längst nicht mehr in Indien sondern in Steueroasen wie Panama, wie sich anhand der 297 Inder, die bisher durch die Panama-Papers aufgeflogen sind, vermuten lässt.

Bargeld-Einzug zur Bankenrettung gegen Bankenkrise

Bei der Bargeld-Aktion dürfte es deshalb vor allem um andere Ziele gegangen sein. Die Hälfte aller Inder besitzt kein Bankkonto, viele Banken sitzen auf faulen Krediten, sind unterkapitalisiert und kämpfen mit zu niedrigen Erträgen, weshalb die Regierung Anfang 2016 bereits ein Rekapitalisierungsprogramm gegen eine Bankenkrise von 20 Milliarden Dollar erwogen hatte. Allein die staatlichen Banken sollen auf 11 Prozent wertloser Forderungen sitzen.

Wenn der Staat nun seine Bürger durch die viel zu geringe Auslieferung der neuen Geldscheine auf geschickte Weise zwingt, ihre ungültig gewordenen Geldscheine bei den Banken auf alte oder neu eröffnete Konten einzuzahlen, haben einerseits bald alle Inder ein Bankkonto, andererseits gewinnen die Banken dadurch viele neue Kunden, erhalten Einlagen, können neue Kredite vergeben und von den neuen Bankkunden Gebühren erheben. Wenn die Bankenrettung zur Vermeidung einer Bankenkrise – wie in Italien – gelingen sollte, hätte die indische Regierung „drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“. Die Regierung ist jedoch schon in 2015 mit einem anderen Versuch gescheitert, die Bevölkerung zu animieren, ihr Geld auf Goldkonten bei den Banken einzuzahlen. Jetzt riskiert sie nur zusätzlich eine Krise, nachdem der Wirtschaft, durch die unzureichende Bereitstellung der neuen Geldscheine, der Stillstand droht.

Buchgeld soll Bargeld in Indien ersetzen

Es könnte jedoch sein, dass dieser Zustand bewusst in Kauf genommen wird, um ein weiteres Ziel zu verwirklichen – die bargeldlose Gesellschaft. Schließlich strebt die Finanzelite ganz unverhohlen eine weltweite Bargeld-Abschaffung an, das wurde bei dem FED- Symposium in Jackson-Hole nochmals sehr deutlich.

Welches Ziel könnte die Regierung in Indien sonst gehabt haben, wenn sie das neue Bargeld in viel zu geringer Menge und noch dazu ohne Sicherheitsmerkmale ausgibt, dadurch in wenigen Monaten wieder den selben Zustand erreicht wie vorher, gleichzeitig aber die Wirtschaft durch eine Bargeld-Unterversorgung massiv schädigt. Das macht nur Sinn, wenn sie gar nicht das Ziel hat, die Menge der alten durch neue Geldscheine zu ersetzen, sondern den Großteil des neuen Bargeldes als elektronisches Buchgeld in Umlauf zu bringen.

Indien: Bargeld, Bankenrettung und bargeldlose Gesellschaft

Dafür sprechen jedenfalls die Aussagen von Premierminister Modi seit Beginn des Bargeld-Einzugs vor drei Wochen:

„Ich möchte meinen Brüdern und Schwestern in der Wirtschaft sagen: Dies ist eure Chance, für den Eintritt in die digitale Welt. Es ist wahr, eine hundertprozentig bargeldlose Gesellschaft wird es so schnell nicht geben. Aber warum machen wir nicht den ersten Schritt in Richtung einer bargeldlosen Gesellschaft“?

(Übersetzung der Redaktion aus dem englischen Original)

„Ein wichtiger Schritt, um Indien als globalen Führer im Bereich der bargeldlosen und digitalen Wirtschaft zu positionieren“.

So beschrieb kürzlich Porush Singh, der Präsident von Mastercard in Südost-Asien, das Ziel von Indiens Premierminister Modi in einem Bloomberg-Interview. Hier können sie nachlesen, warum die Bargeld-Abschaffung als ernstes Problem angesehen werden muss. Im Falle von Indien mit seiner großen Bargeldwirtschaft muss allerdings angemerkt werden, dass die bargeldose Gesellschaft – wenn sie einmal weitgehend eingeführt ist – nicht nur den Banken sondern auch dem Staat zur Erhebung von Steuern und zur Bekämpfung von Schwarzgeld nützen würde.

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Indien: Bargeld, Bankenrettung und bargeldlose Gesellschaft
Kurzbeschreibung:
Indien: Regierung erklärt Bargeld für ungültig - zu welchem Ziel: Korruption und Terrorismus bekämpfen oder Bankenrettung und bargeldlose Gesellschaft?
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